Welche Erfindung der Menschheitsgeschichte hat die größten Auswirkungen auf unser Wohl gehabt? Der Computer? Der Pflug? Der Buchdruck? Nutella? Alles zweifelsohne würdige Kandidaten, die einen Stammplatz in der Ahnengalerie der wichtigsten Erfindungen der Menschheit verdienen. Es ist allerdings ein anderer Kandidat, der immer wieder prominent von Wissenschaftlern genannt wird.
Diese Geschichte beginnt mit einem flammenden Appell vor der British Association for the Advancement of Science in Bristol im Jahr 1898. Schon lange vor dem 1972 erschienenen Bericht des Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“, waren Warnungen vor – nun ja – den Grenzen des Wachstums gängige Hilfsmittel, um die Zeitgenossen die Auswirkungen von ungebremstem Wachstum drastisch vor Augen zu führen. Die Lösungen lassen sich auf zwei Kategorien zusammenfassen: entweder man tue etwas dagegen oder man tue etwas dafür.
In Bristol zeichnete der britische Physiker und Chemiker William Crookes ein düsteres Bild, indem er die rasant zunehmende Bevölkerungszahl dem Nahrungsmittelangebot gegenüberstellte. In zwanzig Jahren würde die Nahrungsmittelnachfrage das Angebot übertreffen. Crookes sah deshalb als das vordringlichste Problem seiner Zeit die Synthese von Ammoniak, der für die Düngemittelherstellung unabdingbar war.
Schon um 1840 hatte der Begründer der organischen Chemie, Justus von Liebig, erkannt, dass Phosphate und stickstoffhaltige Mineralien für das Pflanzenwachstum kritisch sind. Crookes vielbeachteter Appell löste zwischen den besten Chemiker ihrer Zeit ein Wettrennen aus, ein wirtschaftliches Verfahren zu entwickeln, den in der Erdatmosphäre allgegenwärtigen Stickstoff – knapp 78 Prozent davon sind Stickstoff – zu extrahieren und in Ammoniak umzuwandeln. Die beiden wichtigsten Herausforderungen waren damals, wie man den Stickstoff aus der Luft extrahiert und wie man in den bestmöglich mit Wasserstoff zu Ammoniak umwandelt.
Foresight Mindset
Die Kunst und Wissenschaft seine Zukunft vorherzusagen
Zukunft lässt sich vorhersagen. Einigermaßen, mit einer gewissen Unschärfe jedenfalls. Diese Disziplin ist erlernbar und das ist zugleich die gute Nachricht. Das Buch umfasst ein strategisches Set an Werkzeugen das hilft nicht nur zu reagieren, sondern ermöglicht, von Anfang an die Gestaltung der Zukunft mitzubestimmen.

Die Kunst und Wissenschaft seine Zukunft vorherzusagen
Erscheinungsdatum: 2. April 2019
Verlag: Franz Vahlen. München,
Preis: €29,80
Auf den Monat genau dreizehn Jahre nach der Rede Crookes in Bristol, und sieben Jahre vor dem von Crookes ausgemalten Beginn einer globalen Hungersnot, war diese Herausforderung gelöst. Der in Karlsruhe lehrende Chemieprofessor Fritz Haber, der sich erst 1904 mit der Ammoniaksynthese zu beschäftigen begann, hatte ein kaiserliches Patent (und wie jede Quelle bestätigt) mit der Nummer 235.421 für sein 1908 eingereichtes Verfahren erhalten, das dank der Arbeit zweier weitere deutscher Chemiker die Nachfrage nach Stickstoffdüngemitteln (und Sprengstoff) befriedigen konnte. Während Carl Bosch mit seinen Arbeiten zur Gaskomprimierung die Extraktion und Reaktion des Stickstoffes lösen konnte, hatte Alwin Mittasch einen „Thomas Edison“ durchgeführt. So wie der amerikanische Erfinder zehntausend Versuche durchgeführt hatte, um die ideale Materialkombination für die Glühwendel seiner Glühbirne zu finden, setzte der sorbischstämmige Mittasch Edison eines noch drauf und führte fast 20.000 Versuche mit 3.000 Eisenoxidverbindungen durch, um die geeignete Verbindung für einen Katalysator zu finden, der die chemische Reaktion zwischen Stickstoff und Wasserstoff starten sollte.
Das so benannte Haber-Bosch-Verfahren ermöglichte einen Quantensprung in der Nahrungsmittelproduktion. Es wird geschätzt, dass dieser eine Prozess die Erträge versiebenfachte. Das entspricht den von Google so genannten ‚Moonshots‘, also Projekten, die nicht eine Verbesserung um ein paar Prozentpunkte anpeilen, sondern um einen Faktor 10, als tausend Prozent. Google und Silicon Valley-Firmen peilen solche Moonshots oft an, zumindest sprechen sie sehr oft davon. Wie erfolgreich sie dabei sind, davon sprechen sie weniger oft. Das Haber-Bosch-Verfahren aber ist definitiv ein gelungener Moonshot. Und mehr als hundert Jahre nach der Entwicklung ist es fast unverändert nach wie vor für 99 Prozent der Ammoniakproduktion verantwortlich.
Das es dazu überhaupt kommen konnte, grenzt an ein kleines Wunder. Justus von Liebig musste sich hundert Jahre früher seinen Feinschliff in den modernsten Erkenntnissen der Chemie noch an der Pariser Sorbonne holen. Dort studierte er ab 1823 mehrere Jahre bei den führenden Chemikern ihrer Zeit und traf auch auf den deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt. Dieser fand, wenn er nicht gerade südamerikanische Vulkane erklomm oder mit der Kutsche durch die russische Steppe bolzte, vor allem in Paris das ihn inspirierende Gelehrtenumfeld, und nicht etwa in Berlin, das er als verstaubt und rückständig empfand.
Doch dann trat der deutschsprachige Raum eine bis dahin beispiellose wissenschaftliche und technische Aufholjagd an und gegen Ende des 19 Jahrhunderts hatte er sich zur treibenden Kraft der wissenschaftlichen und industriellen Welt hin entwickelt. Nicht ein Zentrum wie in Paris oder London hatte sich etabliert, sondern mehrere. Karlsruhe, Göttingen, Jena, Berlin, Tübingen, Heidelberg, Leipzig oder Wien wurden zu globalen Zentren der Wissenschaft, Kultur und Medizin. Andere, wie Mannheim, Stuttgart oder das ganze Ruhrgebiet, um nur einige zu nennen, wurden zu Zentren bedeutender Industrieansiedelungen.
Jetzt auf Amazon
und im Buchhandel!
Wenn Affen von Affen lernen
Was ist Intelligenz im künstlichen und menschlichen Sinn? Können Maschinen Bewusstsein entwickeln und wie würden wir das erkennen? Sind Maschinen fähig, Empathie zu zeigen und zu fühlen?
Innovations-Guru Dr. Mario Herger gibt darauf Antworten. Er verdeutlicht die vielfältigen Chancen und positiven Auswirkungen von KI auf alle Aspekte des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Spannende Gespräche mit KI-Vordenkern und KI-Praktikern aus dem Silicon Valley vermitteln dem Leser wertvolle neue Erkenntnisse und Mindsets. Ein unentbehrlicher KI-Ratgeber für Gegenwart und Zukunft!
Das war die Zeit der Werner von Siemens, Ferdinand Porsche, Fritz Haber, Carl Bosch, einem anderen Bosch, dem Robert, Alfred Krupp, Rudolf Diesel und Karl Rapp. Diese Entwicklungen betrafen nicht nur Wissenschaft und Industrien mit sehr praktischen und direkten Einsatzmöglichkeiten, auch andere Bereiche durchliefen eine Blütezeit. Die durch Kinderlähmung an den Rollstuhl gefesselte Schwäbin Margarete Steiff erschloss mit ihren Plüschtieren und dem wohl berühmtesten Produkt, dem Teddybär, einen völligen neuen Markt und sich gleichzeitig in die Herzen von Generationen von Kindern. Sie durchbrach auch die damals gültigen Grenzen, was Frauen tun und lassen durften, und noch dazu was die Gesellschaft von einer behinderten und ledigen Frau nicht nur erwartete, sondern forderte.
Der Arzt Ignaz Semmelweis konnte durch seine genauen Beobachtungen auf den Säuglingsstationen seiner Zeit mit neuen Hygienevorschriften die Kindbettsterblichkeit drastisch reduzieren. Sigmund Freud bereitete mit der Psychoanalyse und Traumdeutung den Übergang dieser Disziplin vom esoterischen Schamanentum in die Psychologie vor, wie es einige Jahrzehnte vorher die Alchemie zur nun festetablierten Chemie geschafft hatte.
Um diese Zeit begann man den Franzosen auch in der Kulinarik die Vorherrschaft streitig zu machen. Der Abkömmling einer Mühlenbesitzerfamilie mit italienischen Wurzeln, Julius Maggi, hatte nach einer abgebrochenen Lehre und einem Aufenthalt in Budapest das Familiengeschäft übernommen. Eine erstaunliche Wendung für den jüngsten von fünf Kindern und mit einer sehr turbulenten Schulkarriere mit vielen Schulwechseln. Aber aus dem Rebellen wurde ein Erfinder mit Visionen, die das Unternehmen vom schwächelnden Mühlenbusiness zu neuen Geschäftsfeldern pivotieren ließ.
Dass allerdings der Übergang von Visionär zu Spinner ein kleiner ist, zeigt eine Anekdote aus dem Leben von Maggi. So wie der Tesla-Eigentümer und Gründer von PayPal, SpaceX und Boring, Elon Musk, seinen jüngsten Sohn, den seine Freundin, die kanadischen Sängerin Grimes 2020 gebar, auf den Namen ‚X Æ A-12‘ (ja, das ist kein Druckfehler und nein, ich weiß nicht, wie man das ausspricht) taufen wollte, hat uns Julius Maggi schon vorgemacht. Seine Entwicklungsarbeit an Suppenkonzentraten auf Basis von Hülsenfrüchten (Leguminosen) begeisterte ihn so sehr, dass er seine neugeborene Tochter beinahe auf den Namen „Leguminosa“ getauft hätte.

Die Maggi-Würze produzierte er dann ab 1887 nicht in der Schweiz, sondern im benachbarten Baden, nicht unweit eines anderen Giganten der deutschen Technologiegeschichte. Und vor allem einer Technologie, die eine unheimlich weitreichende Inspirationskraft hatte. Die Rede ist vom Erfinder der fliegenden Zigarren, Graf Ferdinand von Zeppelin. Nicht nur damals standen die gewaltigen Luftschiffe für den ungebrochenen Fortschrittsoptimismus, auch heute noch bewirken sie dasselbe Gefühl und finden Eingang in Science-Fiction-Romane, egal ob diese weit in der Zukunft liegen oder einen Steampunk-artigen Retro-Charakter aufweisen (wie im Film Sky Captain und die Welt von Morgen).
Während wir die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert die ‚deutsche Periode‘ nennen können, sind wir zwei Jahrzehnte im 21. Jahrhundert zur Beobachterrolle im Kampf um die technologische und wissenschaftliche Vormacht zwischen USA und China verdammt. Die Spitzenplätze zu digitalen Technologien, Raumfahrt oder künstlicher Intelligenz machen sich diese beiden aus. Nichts beweist das besser, als das Haber-Bosch-Verfahren. Fritz Habers kaiserliches Patent von 1911 mit der Nummer 235.421 ist in der digitalen Online-Suche des deutschen (und europäischen) Patentamtes weder mit aussagekräftigen Metadaten noch in der Originalschrift zu finden. Man würde meinen, ein Schriftstück von solcher Bedeutung für die Menschheit wäre ein Glanzstück für einen virtuellen Schauraum dieser Bundesbehörde. Wir führten die Welt der dinglichen Dinge an, aber schaffen es nicht, selbst die bedeutendsten Patente und Schriften unserer Pioniere in die digitale Welt zu bringen.