Wie Kalifornien das Dürfen auch rechtlich erlaubt

Auch wenn der Physiker William Shockley ein brillanter Wissenschaftler gewesen war, der der Menschheit den Halbleiter und Transistor brachte, so endete seine Brillanz bei der Führung von Menschen. Im selben Jahr, in dem er den Nobelpreis für Physik gewann, hatte er Shockley Semiconductors in Mountain View, nicht unweit wo sich heute die Google-Zentrale befindet, gegründet. Und 1956 war auch das Jahr, wo er eine Reihe von jungen Ingenieuren und Wissenschaftlern zur Arbeit in seinem Unternehmen gewinnen konnte, um Halbleiter zur Marktreife zu bringen.

In gewisser Weise gelang ihm das auch, allerdings nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Nur ein Jahr später, 1957, verließen acht Mitarbeiter Shockley im Streit, weil sie mit seinem Führungsstil nicht einverstanden gewesen waren. Shockley war, unverblümt gesagt, als Manager ein Arschloch gewesen. Die acht Ingenieure, die ihr verbrämter, ehemaliger Chef als „Die Verräterischen Acht“ bezeichnete, gründeten Fairchild Semiconductors, das selbst zu einer frühen Erfolgsgeschichte der Computergeschichte wurde, und den Grundstein für das heutige Silicon Valley legte.

Zu den acht Gründern gehörten Robert Noyce und Gordon Moore, wobei letzterer bekannt ist für sein „Mooresches Gesetz“, das eine Verdoppelung der Transistoranzahl alle zwei Jahre benannte. Die beiden sollten später gemeinsam mit ihrem Mitarbeiter Andrew Grove – eigentlich Gróf András István aus Budapest –den Chipkonzern Intel gründen. Dann war der der in Wien geborenen Eugene Kleiner, der als Jude vor den Nationalsozialisten fliehen musste und später die Venture Capitalfirma Kleiner Perkins gründete, deren Investments wiederum damalige Start-Ups wie Genentech, Sun Microsystems, Sybase, Compaq, Amazon, AOL, Intuit, Citrix, Netscape, Google,Twitter, Spotify oder Uber erst ermöglichen sollten. Das Trio um Sheldon Roberts, Jay Last und dem Schweizer Jean Hoerni gründete eine Vorläuferfirma des heutigen Industriekonglomerats Teledyne. Und Julius Blank sollte die Computerchipfirma Xicor gründen.

Aus dem einen Unternehmen waren in nur wenigen Jahren an die 65 Firmen entstanden, ohne die die Computergeschichte nicht vorstellbar gewesen wäre. Insgesamt sind bislang mindestens 2.000 Unternehmen auf Fairchild Semiconductors zurückzuführen. Und nicht nur das: die Fairchild-Gründer streuten so auch ihre ingenieursgetriebene Philosophie, die sich auch schon bei William Hewlett und Dave Packard – Gründer von Hewlett-Packard – manifestiert hatte, auch wenn sie so vermutlich nie explizit ausgesprochen worden war. Wenn ein Ingenieur eine Idee hat, auf der ein Unternehmen bauen kann, dann unterstützen wir ihn beim Aufbau, indem wir nicht nur die ersten Investoren, sondern auch die ersten Kunden werden. Die großzügige Art, in der die Menschen im Silicon Valley Informationen und Hilfe miteinander teilen, macht bis heute das Erfolgsgeheimnis der innovativsten Region der Welt aus.

Dabei geholfen hat ein beabsichtigter „Fehler“ im Rechtsverständnis. Kalifornische Arbeitsgerichte sind sehr strikt in der Zulassung von Wettbewerbsklauseln für Arbeitgeber. Anders als in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wo eine Konkurrenzklausel einem kündigenden Arbeitnehmer schon mal ein bis drei Jahre verbieten kann, bei der Konkurrenz anzufangen oder selbst ein Unternehmen im selben Wirtschaftsbereich zu gründen, erlauben kalifornische Gerichte solche Klauseln nicht. Sie interpretieren diese Klauseln als zu restriktiv, die einem Arbeitnehmer die Möglichkeit nehmen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und somit zu einer Belastung für das kalifornische Sozialsystem zu werden.

Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind bedeutend. Jede neue Technologie, jedes neue Geschäftsmodell, jede Innovation wird sehr rasch nicht nur vom ersten sich damit beschäftigenden Unternehmen vorangetrieben, sondern auch von vielen neugegründeten.  So sind aus dem ersten Unternehmen, das sich ernsthaft mit der Entwicklung selbstfahrender Autos auseinandersetzt, mittlerweile dutzende neue Firmen entstanden. Aus der Google-Schwesterfirma Waymo entstanden durch ehemalige Mitarbeiter unter anderem Aurora, Kodiak Robotics oder Otto, und viele Ex-Waymo-Mitarbeiter sind heute bei dutzenden Start-Ups beschäftigt, die Technologien dafür entwickeln.

Damit wird sichergestellt, dass eine vielversprechende oder riskante Entwicklung nicht durch eine Person – einem Manager in einem Unternehmen – eingestellt werden kann. Selbst wenn ein Unternehmen die Arbeit daran einstellt, mehrere andere Unternehmen konkurrieren weiterhin mit unterschiedlichen Ansätzen um die Marktreife. Auch wenn das erste Unternehmen, das diese Idee aufgenommen hatte, dies als „Ideenklau“ bezeichnen und als erlittenen Schaden interpretieren mag, gesamtwirtschaftlich betrachtet ist das positiv. Das Ergebnis lässt sich im Status von Kalifornien als eigener Wirtschaftsmacht erkennen, und wie dieser Bundesstaat Innovation in die Welt bringt.

Es wäre für uns an der Zeit, die wirtschaftlichen Auswirkungen von Konkurrenzverboten zu berechnen. Wie hoch lässt sich ein „Schaden“ für das betroffene Unternehmen berechnen, wie hoch ist die Belastung des Sozialsystems durch einen dank Wettbewerbsklausel zur Arbeitslosigkeit verdammten ehemaligen Mitarbeiter, und wie hoch die steuerliche und wirtschaftliche Lücke, die durch die aktive Verhinderung eines Unternehmens entsteht, das aus dieser Technologie ein marktreifes Produkt schafft?

William Shockley übrigens verblieb auch nicht lange in seinem eigenen Unternehmen. Er war zunehmend dominant und paranoid geworden.  Nur wenige Jahre nach dem Abgang der Fairchild Acht wurde auch er seines Direktorenpostens enthoben und zog sich auf eine Stanford-Professur zurück, wo er dann emeritiert 1989 entfremdet von Familie und Freunden verstarb.

2 Gedanken zu “Wie Kalifornien das Dürfen auch rechtlich erlaubt

  1. Das ist so leider falsch. Zwar gibt es solche Klauseln aber dann muss der ehemalige Arbeitgeber dem Mitarbeiter eine Entschädigung in Höhe des neuen Gehalts zahlen. Bsp:
    Mitarbeiter A verlässt Firma B um bei C einen Job für 100k anzufangen. Firma B will das nicht muss nun aber A das Gehalt von 100k bezahlen fürs nichts tun. Außerdem sind die Arbeitsgerichte in DE sehr Arbeitnehmer freundlich. Also kommt man bei einer Klage meistens recht wenn man sagt das nach Ablauf der Frist es schwieriger wird einen Job zu finden da es in dem Markt auf das aktuelle Wissen drauf ankommt.

    1. In Kalifornien geht man von heute auf morgen – ohne Kündigungsfrist, weil es nur sogenannte „at-will“-Arbeitsverträge gibt – zum anderen Unternehmen oder gründet sein eigenes, ohne Wartefrist oder Gehaltsfortzahlung. Jeder Versuch wird von den Arbeitsgerichten sofort rausgeschmissen.
      Wenn ich erst mal ein Jahr warten muss, oder darauf warten, bis das Gericht entscheiden hat, dann vergeht gerade in sehr dynamischen Sektoren sehr viel Zeit.
      Damit ist das kalifornische Modell sehr viel Innovationsfördernder als das deutsche.

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