Digitalisierung ist in aller Munde, eine Konferenz dazu jagte die andere, doch als dann die Pandemie einsetzte wurde klar, wie wenig digitalisiert beispielsweise Deutschland war. Gescheiterte Beispiele gibt’s genug, ich trage sie sogar in der LinkedIn-Gruppe Digital Doof DACH zusammen.
Wenn man Digitalisierung nicht versteht, dann kopiert man gerne Beispiele von anderen, auch wenn man sie nicht immer versteht. Teslas Elektroautos, die oft als iPhone auf Räder bezeichnet werden, zeigen mit Over-the-Air-Updates, softwaregetriebenen Funktionen und auch Abonnement-Modellen vor, wie Digitalisierung aussehen kann. Und das bringt Nachahmer auf den Weg. Aber zuerst mal langsam. Wie macht Tesla Digitalisierung?
Tesla-Funktionen
Bei Teslas in Kundenhand kommen alle paar Wochen Software-Updates via Internet über sogenannte Over-the-Air-Updates (OTA) aufs Auto. Oft sind es nur kleinere Verbesserungen, gelegentlich aber befinden sich ganz neue Funktionen darunter. Der Hundemodus, bei der die Klimaanlage im Auto eingeschaltet bleiben kann, oder der Wächtermodus, bei der eine Art Überwachungssystem durch die eingebauten Kameras die Umgebung des Fahrzeugs aufzeichnet, kamen erst später hinzu. Die Hardware war bereits eingebaut und diese Funktionen existierten vorher nicht. Mit einem Softwareupdate konnte sie nun verwendet werden.
Auch können zusätzliche Funktionen freigeschaltet werden, die in der Grundausstattung nicht inkludiert, aber hardwareseitig im Auto bereits verbaut sind. So ist die Sitzheizung auf den Rücksitzen schon eingebaut, aber im Basismodell nicht freigeschalten. Auch zusätzliche Reichweite konnte erworben werden, da bereits mehr Batteriezellen im ausgelieferten Auto verbaut als freigeschaltet waren. Und die Full Self Driving-Software (FSD) kann durch einen (mittlerweile recht geschmalzenen) Aufpreis nachträglich genutzt werden.
Während diese Funktionen erst später gratis oder gegen Aufpreis hinzukamen, gibt es auch Abonnementmodelle. So kann man beispielsweise mit einem monatlichen Betrag von $9,99 Verkehrsinformationen und Streamingdienste nutzen. Auch die Tesla-Versicherung nutzt Funktionen des Fahrzeugs, um dynamisch angepasste Versicherungsraten zu eruieren, die vom eigenen Fahrstil abhängig sind.
Schon angedeutet, aber noch nicht verfügbar, sind weitere digitale Geschäftsmodelle, die Tesla einführen will. Eines ist ein App Store, ähnlich wie wir es von Smartphones kennen. Sobald es einen gibt wird erwartet, dass Apps gekauft und In-App-Käufe getätigt werden können. Damit ergibt sich eine ganz neue Einkunftsquelle für Tesla.
Tesla bietet auch ein eigenes Supercharger-Netzwerk an, an dem man nur zu Tesla-Urzeiten gratis laden konnte. Mittlerweile werden diese bislang ausschließlich für Tesla zugänglichen Supercharger in immer mehr Ländern auch für andere Elektroautomarken aufgemacht. Eine weitere digitale Einkunftsquelle.
Mit dem anvisierten Robotaxi-Dienst, den Tesla betreiben will sobald die FSD ausgereift ist, können damit Teslas Taxifahrten unternehmen, während die Besitzer anderweitig beschäftigt sind. Warum das Auto am Firmenparkplatz parken lassen, wenn es doch Geld für mich verdienen kann? Und auch hier schneidet Tesla wieder mit, das den zentralen Robotaxidienst koordiniert und die Autos entsprechend abruft.
BMW Abonnement
Auch BMW versucht auf den Zug der Digitalisierung aufzuspringen und stößt damit gleich mal die Kunden vor den Kopf. So machte in den vergangenen Tage ein Abonnementmodell die Runde, bei der die in den Autos verbaute Sitzheizung gegen €18 pro Monat oder €180 im Jahr verwendet werden kann.
Die Reaktionen kamen rasch – und sie waren durchaus negativ. “Warum soll ich für ein Teil nochmals zahlen, das bereits im Auto ist?” fragte ein Besitzer. Ein anderer wunderte sich, was als Nächstes käme: “Muss ich in Zukunft für die Benutzung des Blinkers auch zahlen?” Die meisten Kommentatoren fühlen sich düpiert und meinten, dass BMW nicht mehr die Kunden im Auge hat.
Mögliche Gründe für die negativen Reaktionen
Warum ist die Reaktion so heftig? Warum werden andere Modelle akzeptiert, aber das Sitzheizungs-Abo von BMW vorwiegend negativ aufgenommen? Was genau unterscheidet ein Sitzheizungs-Abo von einem Abo für einen Streamingdienst oder für Strom?
Zuerst mal sehen wir kein Problem, für Telefon, Strom, Wasser oder Gas einen Preis zu zahlen. Dieser richtet sich beispielsweise nach dem Verbrauch. Gesprächsminuten, kWh, Liter oder Kubikmeter. Dieser ist somit kein Fixpreis wie in einem Abo, sondern orientiert sich am Verbrauch. Und denn können Kunden gewissermaßen kontrollieren.
Wie ist es aber mit einem Abonnement Streaming- oder Verkehrsdiensten? Hier kriegen Kunden ständig frische Inhalte. Die neuesten Nachrichten in der Zeitung, die neueste Verkehrslage, die neueste(n) Musik, Fernsehserien oder Filme.
Die Einmalzahlungen um weitere Funktionen freizuschalten, auch wenn sie schon im Auto vorhanden sind, scheinen auch weniger problematisch zu sein, weil sie echte Funktionalität bringen.
Volkswagen wiederum denkt daran, autonomes Fahren im Stundentakt abzurechnen. Benutzt man es, zahlt man. Benutzt man es nicht, dann zahlt man nichts. Das ist ein Verbrauchsmodell, dem die Kunden aufgeschlossener gegenüberstehen.
Notwendigkeit, Komfort oder Spaß?
BMWs Modell scheint aber genau das falsche Modell für diese Funktion zu sein. Zudem ist es eine Funktion, die mehr dem Komfort als einer Notwendigkeit dient. Auto fahren kann ich auch mit kalten Popo. Und das dann noch für ein Fahrzeug, bei dem viele Käufer gerade wegen des Komforts bereit sind, einen Aufpreis zu zahlen, erscheint das ihnen, als ob BMW sie als Milchkuh, die es zu melken gilt, betrachtet.
Etwas anderes wäre es, hätte BMW beispielsweise für unterschiedliche Fahrmodi ein Abo angeboten. Ein Sportmodus könnte sicherlich einige überzeugen, dafür monatlich Geld zu zahlen. Das fällt unter Spaß.
Im ersten Moment unterscheiden sich Sitzheizung und sportlicher Fahrmodus nicht, denn für beide Funktionen ist das Auto schon vorbereitet. Das eine ist Komfort, das andere Spaß. Zwar sind Menschen bereit für beides gutes Geld zu zahlen und sich den besseren Sitzplatz im Flugzeug oder die größere Suite im Hotel zu buchen, oder mehr Geld für einen besseren Platz im Konzert auszugeben, hier aber scheint es übertrieben. Man kauft ja nicht das ganze Flugzeug, um dann nochmals für die eigene Business Class ein Abo abschließen zu müssen.
Premium- und Basisfunktion
Ist eine Funktion ganz neu, wie beispielsweise ein Lift oder Internetanschluss im Hotel, dann wurde das in Reiseführern explizit als Ausstattungsmerkmal angeführt. Und die Menschen waren bereit dafür extra zu zahlen. Einige Jahre später kippt es. Dann wurde in Reiseführern explizit erwähnt, dass dieses Hotel keinen Lift oder Internetanschluss bietet. Die Funktion wurde von einem Premium zu einer Basisfunktion, die erwartet wird.
Eine Sitzheizung heute wird also Basisausstattung betrachtet, speziell in einem Premiumfahrzeug, das entsprechend kostet. Jetzt plötzlich dafür zahlen zu müssen, wird von den Kunden als nicht zumutbar gesehen, wenn doch selbst viel billigere Autos Sitzheizungen ohne Aufpreis und ohne Abo-Modell anbieten.
Schmaler Grad
Man merkt also, es ist ein schmaler Grad Digitalisierung und Geschäftsmodelle richtig in die eigene Produktwelt zu bringen. Die Reaktionen auf BMWs Modell scheinen zu zeigen, dass es das falsche Modell ist. Doch dann erinnern wir uns an ähnliche Reaktionen, als andere Unternehmen ihre Modell umstellten. Microsoft oder Adobe gingen weg von einem Lizenz- zu einem Abomodell für ihre Software. Oder als Facebook die Timeline einführte, protestierten viele Benutzer. Heute kann man sich das gar nicht mehr anders vorstellen. Die Zeit wird es zeigen.
Was das Blinker-Abo betrifft, da werden wir uns keine Sorgen machen müssen. Sicherheitskritische und für das Fahren absolut notwendige Funktionen werden nicht einfach so in alternative digitale Geschäftsmodelle verpackt werden können. Ein defekter (oder nicht abonnierter) Blinker macht aus rechtlicher Sicht ein Fahrzeug untauglich für einen sicheren Fahrbetrieb. Anderen Verkehrsteilnehmern kann damit nicht das eigene Fahrvorhaben angezeigt werden und kann andere damit gefährden.
Aber ich bin befürchte, BMW denkt trotzdem schon dran.
Hier übrigens ein witziges Video, das mit demselben Ansatz spielt, allerdings in einer ganz anderen Industrie:
Interesse geweckt?
Willst Du mehr zu Digitalisierung und den Schwierigkeiten damit wissen, dann schlage ich zwei Dinge vor: einerseits einfach mal die LinkedIn-Gruppe Digital Doof DACH abonnieren (keine Sorge, das ist gratis), andererseits in mein Buch Future Angst: Wie wir von den Innovationsvorreitern zu den Innovationsnachzüglern wurden und wie wir die German Angst überwinden können reinschnuppern. Die bisherigen Rezensionen auf Amazon mit zehn 5-Sterne-Bewertungen sollten zeigen, dass Du nicht die Katze im Sack kaufst…