Sei es bei Überwachungskameras in öffentlichen Räumen, bei der automatisierten Grenzkontrolle oder einfach bei der Entsperrung des iPhones: von künstlicher Intelligenz gestützter Gesichtserkennung hat sich in unserem Leben eingenistet. Nicht alle nehmen das ohne Sorgen hin. Das Gefühl der permanenten Überwachung und des Missbrauchs der Daten, die auf das Verhalten und den Aufenthaltsort von Mitbürgern schließen lassen, hinterlässt ein mulmiges Gefühl. In Staaten mit repressiven Regimen wie China wird Gesichtserkennung bereits gegen die eigenen Bürger angewandt.
Während diese Bedenken durchaus berechtigt sind, will ich doch auch die positiven Anwendungsfälle hervorstreichen, denn wie so immer, jede Technologie hat ihre zwei Seiten. In diesem Fall, wie Gesichtserkennung helfen kann, Geschichte aufzuarbeiten und Opfern einen Namen und eine Geschichte zu geben.
Sezessionskrieg

Im amerikanischen Civil War Photo Sleuth Projekt wird Gesichtserkennungssoftware eingesetzt, um die Soldaten des amerikanischen Sezessionskriegs, der zwischen 1861 und 1865 stattgefunden hatte, und knapp 600.000 Soldaten das Leben gekostet hatte, auf alten Fotos zu identifizieren. Dabei arbeiten der Informatiker Kurt Luther, der Virginia Tech Universität und Ron Coddington, dem Editor des Fotoarchivs Military Images zusammen, die das Projekt 2018 aus der Taufe hoben. Ausgangspunkt war eine Ausstellung zum amerikanischen Bürgerkrieg, in der Luther auf ein Foto seine Ururgroßonkels gestoßen war.
Von den schätzungsweise 40 Millionen Fotos von Soldaten, die mit der jungen Technologie im Bürgerkrieg geschossen worden waren, existieren heute nur mehr ein Zehntel. Doch die Namen der abgebildeten Personen sind kaum bekannt, die Identität nicht erhalten. Und genau das soll dieses Projekt ändern. Auf der Webseite registrierte Mitglieder können Fotos hochladen und biographische Daten ergänzen. Die Gesichtserkennungssoftware versucht dann Fotos zuzuordnen. Schon im ersten Monat konnten laut dem Bericht im Slate-Magazin 88 Personen identifiziert werden.
Auch wenn die Auflösung der Fotos mit den heutigen Technologien die Identifikation nicht immer ganz erlaubt, so zielen die Projektorganisatoren darauf ab, 100 Prozent der Menschen auf den Bildern zu identifizieren.
Holocaust
Das amerikanische Projekt hat auch andere inspiriert. Der Google-Informatiker Daniel Patt und der Finanzier Jed Limmer analysieren mit einer eigens entwickelten Gesichtserkennungssoftware die Porträts von 177.000 Menschen auf 35.000 Fotos, die das United States Holocaust Memorial Museum besitzt. In From Numbers To Names soll den von den Nazis ermordeten der Name und damit Würde zurückgegeben werden.

Auch hier können sich registrierte Benutzer wieder an der Auswertung beteiligen, indem sie eigene Fotos hochladen und um biographische Details ergänzen können. Zusätzlich sollen auch die 1.256 Stunden an Filmrollen im Besitz des Museums analysiert werden.
Wir übersehen bei der Betrachtung dieser Schwarzweißbilder leicht, dass die darauf abgebildeten Menschen Namen, Familie, Geschichte und ihre Träume und Hoffnungen hatten. Wie schon oft die einfache Einfärbung von Schwarzweißbildern uns die Vergangenheit schlagartig näher bringt, so wirken die Gesichter der ausgemergelten und misshandelten Gestalten vertraut, wenn wir einen Namen zur Person haben.
Auch hier bemüht sich das Projekt darum, den namenlos wirkenden Gestalten ihre Identität und damit ihre Würde zurückzugeben. Noch immer wissen viele Nachfahren von in Nazi-Konzentrationslagern ermordeten nicht, wann und wo sie genau getötet wurden. Anhand dieses Projektes könnten so manche Ungewissheiten gelöst werden.