Elon Musk & Twitter: Warum nur hyperventilieren alle?

Es ist noch gar nicht so lange her, da musste ich in Europa bei meinen Vorträgen noch erklären, wer Elon Musk ist. Nicht mal in der Automobilindustrie, wo Tesla schon Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war 2015 der Name geläufig. Ich weise in meinem 2016 erschienenen Buch Das Silicon Valley Mindset mehrmals auf ihn hin, auf gleicher Ebene wie Steve Jobs. Seine Denke war so anders wie wir es von unseren heimischen Managern gewohnt waren.

Ein paar Jahre später ist Elon Musk zum Gottseibeiuns gleich mehrerer Industrien geworden. Die Automobilindustrie hat er mit seinen Elektroautos aufgescheucht, und die Weltraumindustrie mit seinen Raketen und landenden Raketenstufen vorangetrieben. Paypal, mit der er Online-Bezahlsysteme erst hoffähig und vertrauenswürdig für das Internet gemacht hat, war sozusagen die Aufwärmübung.

Sein Bild auf dem Cover eines Wirtschaftsmagazins garantiert das Hochschnalzen der Auflagenzahl. Dank seiner öffentlichen Beziehungen mit Frauen wie Amber Heard und Grimes und den Kindern aus einigen dieser Verhältnissen, ist er auch bei den Fans der Klatschpresse ein Begriff. Neuerdings scheint er auch den Rest der öffentlichen Welt gegen sich aufgebracht zu haben, weil er die soziale Medienplattform Twitter gekauft hat.

Twitter war schon vorher scheiße

Wie scheiße Twitter schon vorher war, darüber habe ich bereits geschrieben. Ob die Plattform mit Elon Musk noch schlechter werden kann, wird sich zeigen. Was aber klar ist, Musk provoziert bei den Leuten starke Reaktionen, die mir eher aus dem Bauch zu kommen scheinen, denn aus dem Kopf.

Nun möchte ich voranstellen, dass ich Musk durchaus kritisch gegenüber stehe. Auch wenn ich einen Tesla fahre und damit sehr zufrieden bin, so finde ich seine Nähe zu Republikanern, seinen Verschwörungstheorien oder den unnötigen Ausfällen wie dem gegen den Taucher, der die in einer Höhle eingeschlossenen Jungs retten sollten, bedenklich. Die Art wie er Leute einfach so feuert, ist aus einer europäischen (und teils auch amerikanischen) Sicht sicherlich viel zu impulsiv und menschenunwürdig.

Andere Kritik kann ich aber nur wenig nachvollziehen. So sind die immer wieder vorgebrachten Argumente gegen seine Pläne zur Marskolonialisierung, nämlich dass wir zuerst andere Probleme auf der Erde wie Hunger, Armut, Krieg, You-name-it, lösen müssten, als Falsches-Dilemma-Argument bekannt. Wer entscheidet denn, welches das wichtigste und zuerst zu lösende Problem ist? Und warum sind die selbst Kritiker dann in ihren Berufen, wenn sie damit nicht zur Lösung dieser Probleme beitragen?

Nun hat Musk Twitter gekauft und seither ist die Aufregung perfekt. Plötzlich wird großes Performancetheater aufgeführt von Leuten die Twitter lautstark verlassen wollen, und Musk als den größten Verbrecher hinstellen. Und das ist übertrieben. Bitte verlasst die Party, aber es interessiert keinen Partyteilnehmer, warum ihr jetzt geht. Außerdem war Twitter schon vorher scheiße und ein Problem für die Demokratie, und da hat es euch nicht gekratzt. Ihr seid alle dabeigewesen.

Waraum regen diese Leute niemanden auf?

Wenn ihr euch schon aufregen wollt, es gibt eine ganze Reihe von anderen Leuten, die um Dimensionen gefährlicher für den Planeten sind als Musk. Nehmen wir die Koch-Brüder, Charles und David, aus den USA. Die haben Jahrzehnte damit verbracht, ihr aus Ölfeldern gescheffeltes Geld dazu zu verwenden, um politisches Lobbying zu betreiben, eine große Zahl von Wetterstationen in den USA aufzukaufen um besser die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen abschätzen zu können. Sie haben fast flächendeckend lokale Fernsehstationen und Medien unter ihre inhaltliche Kontrolle gebracht und konservative Politiker in ihrer Haltung gegen Abtreibung und Rechte von Minderheiten und Frauen unterstützt. ganz zu schweigen vom Klimawandel, den sie nicht nur aktiv mit ihren Geschäften um fossile Brennstoffe vorantreiben, sondern auch dessen Existenz durch bezahlte Studien und angeheuerte Experten leugnen. Die Liste ist lang. Über sie redet aber kaum jemand, weil sie die Öffentlichkeit scheuen und nur im Hintergrund auftreten.

Oder nehmen wir Peter Thiel, den deutschstämmigen Investor und Milliardär, der mit seinen libertären Positionen nicht nur Trump finanziell stark unterstützt, sondern am liebsten gleich alle sozialen Sicherheitsnetze für die Bevölkerung abschaffen und den Kapitalismus und das Recht des Stärkeren frei regieren lassen will.

Oder diese heimischen?

Dabei müssen wir gar nicht so weit schauen, denn auch bei uns gibt es eine Reihe von Leuten, die dem Land und dem Planeten schaden. Man denke an die Wirecard-Gründern Markus Braun und Jan Marsalek, die dieses Unternehmen scheinbar durch Betrug an die Wand fuhren. Oder die CumEx-Geschichte, wo dem deutschen Steuerzahler dutzende Milliarden gestohlen worden war? Der Aufruhr war gering, weil es keiner verstanden hatte, aber ein paar Banker sich dutzende Milliarden auf Kosten der Steuerzahler abgezwackt haben, die wiederum bei Sozialprogrammen fehlen. Und selbst die zweifelhafte Rolle des aktuellen Bundeskanzler kratzt fast keinen.

Oder denken wir an René Benko, der jetzt in Österreich in den Verdacht geraten sich in der Politik Steuererleichterungen und sonstige Vorteile verschafft zu haben. Auch in Deutschland scheint er sich mit den Schwierigkeiten bei einigen seiner Immobilien wie Galeria Karstadt Kaufhof an den deutschen Steuerzahler zu wenden. Ich will gar nicht erst Tönnies erwähnen, dessen Schlachtbetriebe während der Pandemie eine ganze Stadt in den Lockdown gebracht haben

Und jetzt blasen sich all die Leute auf, hyperventilieren, weil Elon Musk Twitter gekauft hat und versucht, das wackelige und schon vorher politisch bedenkliche Unternehmen zu ändern? Deshalb rufen alle zum Boykott von Tesla und Twiitter auf und vergessen dabei großzügig den Dieselskandal? Der übrigens sieben Jahre nach der Aufdeckung in Deutschland gerichtlich immer noch nicht abgehandelt ist.

Also bitte, ich denke, da haben manche ihre Prioritäten nicht richtig. Oder schlimmer, sie nutzen das für ein Anbiedern an die Öffentlichkeit aus. Dafür gibt es übrigens einen eigenen Begriff: Moralunternehmer. Das sind Leute, die ihr Geschäft damit machen und ihren Ruf damit machen, vor dem moralischen Verfall der Gesellschaft und Zivilisation zu warnen, indem sie sich über neue Technologien und Leuten dahinter ereifern. Und die weißen auf Probleme hin, die es so nicht gibt oder geben wird, die die Medien begierig aufgreifen, weil sie damit Zuschauer und Klicks anziehen, und Politiker springen eilfertig auf, weil sie sich als hemdsärmelige Anpacker und Lösungsbringer darstellen können. Eine Win-Win-Win-Situation. Gleichzeitig sind sie aber zu tumb und feige, die waren Probleme und die Schuldigen anzupacken. Da bietet sich eine kantige und öffentliche Person wie Elon Musk besser an. Mit Attacken gegen ihn ist die öffentliche Meinung leichter zu gewinnen.

Zum den Themen Klimawandel, Meinungsfreiheit und Freiheit gibt es viel wichtigere Ziele zum Aufregen. Und solche Heuchler kann man einfach nicht ernst nehmen.

Übrigens: wie scheiße Twitter ist hat mich dazu veranlasst, ein Buch über Online-Belästigungen und Attacken auf Frauen im Internet zu schreiben. Dabei hat Twitter einen zentralen Platz, wo sich toxische Männer versammeln und Frauen beleidigen, belästigen und bedrohen. Das Buch CYBERF*CKED erscheint diese Woche und kann hier bestellt werden.

CYBERF*CKED

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