Schottischer Whiskey im Metall – Teil 1

Um mir die Zeit beim Bügeln zu vertreiben, durchstöbere ich oft YouTube, um geeignete Videos zu finden. Die Frage ist nicht, ob ich auch Unterhosen bügle (nein, tu ich nicht), sondern welche Videos unterhaltsam oder fesselnd genug sind, um mich vom monotonen Hemdenbügeln abzulenken. Weil ich vermutlich zuvor eine Dokumentation zum Miniatur Wunderland Hamburg angesehen hatte, schlug YouTube mir eine halbstündige Farbfilmdokumentation von einem gewissen Kurt Lehfeldt vor, der eine Momentaufnahme des Hamburger Hafens im Jahr 1938 gestaltet hatte. Lehfeldt war eigentlich ein Hamburger Konditormeister und zugleich begeisterte Amateurfilmer gewesen, der uns heute mit seinem ältesten erhaltenen Farbfilm eine nostalgische Reise ins damalige Hamburg ermöglicht.

Für mich als Wiener Landratte sind Häfen etwas Mysteriöses und Abenteuerliches zugleich. Alleine die Vielzahl der Bezeichnungen für die Schiffe erscheinen mir verwirrend. In den Gesichtern der Seeleute und Hafenarbeiter widerspiegeln sich zugleich die Schwere des Berufs und der Stolz auf die Arbeit. Geprägt ist mein Verständnis von der See durch Hans Albers und den Piraten der Karibik. Man erkennt die Stereotypen, die ich verinnerlicht hatte. Insofern bot der Dokumentarfilm eine willkommene andere Perspektive auf einen Hafen, und nicht nur irgendeinen Hafen zu irgendeiner Zeit. Es war der Hafen der Hansestadt Hamburg in seiner damaligen Geschäftigkeit, wenige Jahre vor seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg.

Den ersten Minuten mit Ansichten des Passagierschiffsverkehrs konnte ich noch problemlos folgen, aber ab der siebten Minute musste ich mein Bügeleisen weglegen, genauer hinhören und nach den Begriffen googlen. Der Satz „20.000 Leute waren um 1938 als Schauerleute, Winschmänner, Kai- und Speicherarbeiter, Kranführer und Ewerführer beschäftigt“ hatte mich verständnislos zurückgelassen. Was sind Schauerleute? Was Winschmänner? Und bitte was macht ein Ewerführer? Führt der etwa männliche Wildschweine, also Eber, herum?

Es ist mir hoffentlich verzeihbar, dass ich aus einem Binnenland stammend mit diesen Berufsbezeichnungen nichts anfangen konnte. Aber selbst wenn man an der Nord- und Ostsee geboren und aufgewachsen ist, sind manche der Begriffe aus der Mode gefallen. Etliche dieser Berufe hatten mit dem Be- und Entladen von Schiffen zu tun, und sie hatten jahrhundertelang Bestand. Dazu muss man wissen, dass bis in die 1960er Jahre Güter in Kisten, Fässern und Ballen, oder als Schüttgut auf Schiffe verladen wurden. Das wurde teilweise durch die Maschinisten und Winschmänner gemacht, die die Fracht mit Kränen und Ladegeschirren verfrachteten, und dann durch Schauerleute, die jeden Winkel im Laderaum des Schiffs vollstopften, wobei die Verstauung abhängig war vom Gewicht der Ladung, der Art der Ladung oder von der Reihenfolge der zu erwartenden Löschung der Fracht in den jeweiligen nächsten anzulaufenden Häfen. Tallymänner wiederum führten eine Liste der Waren und überprüften sie auf Vollständigkeit und mögliche Schäden.

Wie leicht zu erkennen, handelte es sich dabei um schwere und gefährliche körperliche Arbeit und eine falsche Beladung konnte zur Beschädigung der Güter, einer längeren Entladedauer und damit zu Mehrkosten, oder zu Schlagseite und im Extremfall sogar zum Sinken des Schiffes bei hohem Wellengang führen. Die Arbeit konnte recht unregelmäßig sein. An manchen Tagen waren nur wenig Schiffe eingelaufen, an anderen sehr viele. Die Anzahl an benötigten Dockarbeitern schwankte sehr stark und es überrascht nicht, dass sich diese in Gewerkschaften zusammenschlossen, um Löhne oder Gewichtslimitationen, die Güter haben durften, durchzusetzen. Das geschah auf allen Häfen der Welt. Dockarbeiter verhandelten mit den Reedereien den Einsatz von sogenannten Gangs, einer Gruppe von Ladearbeitern mit einer genauen Anzahl an Teammitgliedern, und deren Entlohnung. Die Entlohnung richtete sich je nach Gut. Eine Tonne Kaffeebohnen in Säcken hatte einen anderen Tarif als Ersatzteile für Autos, Whiskeyfässer oder Paletten mit Verpackungen.

C2-Frachter USS Whiteside

Man kann sich leicht ausrechnen, dass die Be- und Entladung eines Schiffes einige Tage in Anspruch nehmen konnte. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 1954 führte das vor Augen. Anhand der ‚Warrior‘, ein sogenannter C-2-Frachter der Waterman Steamship Corporation, mit 140 Meter Länge, einer Breite von 19,20 Metern und Seitenhöhe von 12,20 Metern bemaß die Regierung die Ladedauer in einem dieser sehr durchschnittlichen und üblichen Frachtschiffe.[2] Die fünf Frachträume boten um die 5.000 Tonnen Ladekapazität. Die Studie listete die Fracht des von Brooklyn nach Bremerhaven ausfahrenden und vom U.S. Militär gecharterten Schiffes, die einen Eindruck bietet, wie aufwendig und ineffizient der Logistikprozess war.


GutAnzahlAnteil am Gesamtgewicht [%]
Schachteln74.90327,9
Kartons71.72627,6
Säcke24.03612,9
Boxen10.67112,8
Bündel2.8801,0
Pakete2.8771,9
Stück2.6341,8
Tonnen1.5383,5
Büchsen8880,3
Fässer8150,3
Fahrzeuge536,7
Kisten210,3
Transporter100,5
Spulen50,1
Unbestimmt1.5250,8
Gesamt194.58298,4
Tabelle 1: U.S. National Research Council,
Maritime Cargo Transportation Conference,
The SS Warrior, Seite 8

Diese 5.015 Tonnen an Fracht kamen an die Brooklyner Docks in 1.151 separaten Lieferungen aus 151 amerikanischen Städten, wobei die erste Lieferung bereits einen Monat vor dem Ablegen der Warrior erfolgte. Jedes Gut wurde in den Lagerräumen auf Palletten gepackt, und später dann in die Frachträume des Schiffs verladen. Dabei wurden 5.031,69 Dollar an Holz und Seilen verwendet, um die Güter im Frachtraum zu verankern und festzuzurren. In einer Achtstundenschicht pro Tag benötigten die Arbeiter sechs Tage (inklusive eines Streiktages), um die Fracht im Schiff unterzubringen. Die Überfahrt dauerte dann 10,5 Tage und die Löschung der Fracht in Bremerhaven, wo die Dockarbeiter durcharbeiteten, vier Tage. Die Hälfte der Zeit verbrachte das Schiff am Landesteg, wo es be- und entladen wurde. Das letzte Stück Frachtgut erreichte seinen Zielort 33 Tage nachdem die Warrior in Bremerhaven angedockt hatte. Somit waren Teile des Ladegutes bis zu 95 Tagen unterwegs gewesen.

AlphaSophia and me

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Von den Gesamtkosten von 237.577 Dollar, die die Transportkosten damals ausmachten, entfielen gerade mal 11,5 Prozent auf die Überfahrt selbst. Ganze 36,8 Prozent der Kosten verursachte das Be- und Entladen in den beiden Häfen. Die Reedereien mussten mit einem Anteil von oft 50 Prozent und mehr der Transportkosten nur mit der Verladung und dem Löschen der Fracht rechnen, im konkreten Fall blieb sie darunter, weil die Höhe der Löhne der deutschen Dockarbeiter damals nur ein Fünftel ihrer Brooklyner Kollegen ausmachte.

Diese arbeitsintensive und wenig effiziente Art der Beladung kostete aber nicht nur Zeit. Es ging viel zu Bruch und Diebstahl war gang und gäbe. Speziell wenn sich die Dockarbeiter von den Reedereien hintergangen fühlten, ‚ergänzten‘ sie ihren Lohn mit dem Abzweigen von Fracht. So war jeder gestandene Dockarbeiter stolz über seine Techniken, wie unbemerkt Whiskey abgezweigt werden konnte. Teilweise etablierten sich ganze Hehlereien mit gestohlenen Waren um die Docks. Damit stiegen die Versicherungskosten. Es trug auch der Ruf der Dockarbeiter als rohe Kerle, die gerne einen trinken gingen und oft an Raufhändel beteiligt waren, nicht zu deren Beliebtheit bei Reedereien und der Bevölkerung bei. Ein ganzes Fünftel der amerikanischen und britischen Dockarbeiter war vorbestraft, viele konnten noch in den 1960er nicht lesen, schreiben oder rechnen, die Hälfte der Fabrikarbeiter in den USA hatte nur einen Mittelschulabschluss.[1] Gleichzeitig aber lag der Lohn eines Dockarbeiter bis zu 50 Prozent über den von Arbeitern mit ähnlichem Ausbildungsstand.

Wenig verwunderlich, dass die Reedereien nach Alternativen suchten. Und die Lösung dazu sollte Änderungen nach sich ziehen, die sich niemand vorstellen konnte. Und das alles hatte mit Metallboxen zu tun, die wir heute unter dem Sammelbegriff Container oder Schiffscontainer kennen.


[1] Ben B. Seligman; Most Notorious Victory: Man in an Age of Automation; New York, 1966

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