Schottischer Whiskey im Metall – Teil 3

Der Schifffahrtsindustrie waren die Vorteile, die Container boten, durchaus bewusst. Gerade in den Jahren als McLean und Matson die ersten Container zu transportieren begannen, fanden sich die amerikanischen Reedereien in ständigen Arbeitskämpfen mit streikenden Dockarbeitern. Mehrmals mussten die amerikanischen Präsidenten Kennedy und Johnson die Weiterarbeit per Dekret verordnen und Vermittler für ein Schiedsverfahren schicken.

Schnelleres Verladen und weniger Zeit, die Schiffe an den Docks verbringen mussten, bedeuteten sehr viel Geldersparnis bei Hafengebühren und Mehreinnahmen durch mehr Fahrtzeiten und Fracht. Container reduzierten die Versicherungskosten um bis zu 94 Prozent, weil Diebstahl und Bruch drastisch zurückgingen.

Neben den Reedereien profitierten auch andere Industrien. Spediteure mussten nicht mehr so lange auf den Docks warten und konnten mehr Fahrten durchführen. Die Gesamttransportzeit verringerte sich für die Versender und Empfänger und die Transportkosten sanken. Bis zu 25 Prozent des Warenwertes konnten die Transportkosten vor der Einführung von Containern ausmachen und war für die meisten Unternehmen nicht der Mühe wert. Deshalb waren auch viele Produktionsbetriebe in einem Umkreis von zwanzig bis dreißig Kilometern um Häfen angesiedelt, weil die Transportkosten mit dem LKW so hoch waren. Wenn dann noch der Schwund – wie beim schottischen Whiskey, von dem bis zu einem Viertel einfach so ‚verdunstete‘ – mit dem Container fast völlig eliminiert werden kann, wurden auch alte Produktionsbetriebe wie diese zu Containerfans.

Trotz dieser für alle offensichtlichen Vorteile hinkte die Nachfrage nach Containertransporten die ersten Jahre den Erwartungen hinterher. Da waren zuerst einmal die fehlenden Standards, wie groß denn so ein Container sein sollte, aus welchen Materialien er bestehen sollte und wie die die Schließ- und Stapelmechanismen sein sollten. Auch stand die Frage nach den Anschaffungskosten von leeren Containern, dem Aufbau von Containerkränen, den Kosten für die anfängliche Umrüstung von Schiffen mit Containerhalterungen im Raum. Die Produktionsbetriebe selbst waren es nicht gewohnt, ihre Produktionschargen in Containermengen zu planen. Nur selten wurden Container mit einem Gut komplett gefüllt, und die Auffüllung mit anderen Gütern führte zu einer vorgeschriebenen Entladung und Abwiegen der einzelnen Güter, um den Tarif zu berechnen.

Ohne Standards konnten die Container und Schiffe branchenweit nicht optimal designt und in den Transportprozess integriert werden. Die Leerräume in die noch weit verbreiteten Frachter, die die US Navy nach dem Ende des Krieges ausgemustert und um ein Zehntel des Preises an kommerzielle Reedereien verkauft hatte, hatten mit Containern sehr viel Leerraum. Hafenbetreiber wussten nicht, in welche Kräne und Greifmechanismen sie für die unterschiedlichen Containertypen und Größen sie investieren sollten. Hinzu kam, dass Landfrächter wie Speditionen und Eisenbahn wenig Interesse zeigten, in Tieflader und Containerwagons zu investieren. Jeder Bundesstaat und jedes Land hatten unterschiedliche Bestimmungen, was die Länge, die Höhe und das Gewicht von LKWs auf öffentlichen Straßen betraf. Die Eisenbahnbetreiber hatten unterschiedliche Spurweiten, Tunnelbreiten und ebenso Gewichtsbeschränkungen. Die Eisenbahnen selbst hatten gar kein Interesse daran Container zu transportieren. Sie wollten ihren Kunden unbedingt die bereits vorhandenen Güterwagen aufzwingen, in die ein manuelles Umladen erforderlich war. Und dann kam in Zeiten vor Computern die sehr zeitaufwendige Arbeit den Aufenthaltsort jedes einzelnen Containers im Auge zu behalten und verlorengegangene aufzuspüren.

Mit anderen Worten: auf jeder Branchenkonferenz waren Container in aller Munde, nur keiner traute sich den ersten Schritt zu setzen. Ja selbst, nachdem Matson und McLean den Betrieb aufgenommen hatten, blieb die Branche in einer abwartenden Haltung. Den Dockarbeitern und ihren Gewerkschaften, sowie den Hafenbetreibern war das nur Recht. Die Stagnation des Containerverkehrs erlaubte ihnen so wie bisher weiterzumachen und sich in Sicherheit zu fühlen.

Das begann sich mit einer Krise zu ändern. Genauer gesagt mit einer Logistikkrise in Vietnam. Das Land hatte nur einen Hafen in Saigon, und der konnte keine Hochseeschiffe aufnehmen. Was bislang kein Problem gewesen war. Vietnam war ein rückständiges Land mit viel Gebirge und Dschungel, die Straßen waren zumeist nichts mehr als schmale und löchrige Feldwege und die Eisenbahn war auf vielen Abschnitten schon längst dem Verfall preisgegeben. Industrie- oder Agrargüter von Wert gab es auch nicht. Das waren die Gegebenheiten als die USA ab 1965 ihre Aktivitäten in Vietnam mit ursprünglich knapp 25.000 ‚Militärberatern‘ drastisch zu erhöhen begann. Es half dabei nicht, dass der Hafen von korrupten vietnamesischen Generälen kontrolliert und betrieben wurde.

Da das amerikanische Militär logistische Aufgaben kaum zuvor an Private vergeben hatte, musste es erst überzeugt werden. McLean wurde nach Lobby-Arbeit im Kongress mit dem LKW-Transporten beauftragt. Und dieser, mit dem Fernziel auch die militärische Fracht per Schiff zu übernehmen, zeigte was er zu leisten imstande war. 1967 erhielt McLean dann den Zuschlag, die Nachschubversorgung per Containerschiff aufzunehmen Es wurde dafür der nicht tiefseetaugliche Hafen bei Cam Ranh Bay gewählt, später sollte noch ein gänzlich neuer Hafen, der mit Newport auch gleich so benannt wurde, errichtet werden.

Im August 1967 legte das erste Containerschiff, die Bienville, aus Oakland kommend in Cam Ranh Bay mit 609 Containern an. Das entsprach dem Frachtinhalt von 10 regulären Frachtern. Der Verkehr wuchs mit den militärischen Aktivitäten der Amerikaner stark an, da weitere 17.000 Truppen pro Monat die letztendlich mehr als eine halbe Million Soldaten umfassende Armee erweiterten. Und damit musste der Materialnachschub sichergestellt werden. Ein Fünftel waren Kühlcontainer, in denen Fleisch, Gemüse und sogar Eiscreme gebracht wurden. Zwischen 1.230 und 1.320 Container pro Monat wurden so 1968 geliefert. Die U.S. Armee berechnete, dass die Verwendung von Containern den Steuerzahler zwischen 1965 und 1968 bereits 882 Millionen Dollar erspart hätte. Das U.S. Militär war von einem zögernden Zweifler ein klarer Anhänger von Containerlogistik geworden.

Da die Transportkosten von den USA nach Vietnam und der Rückführung der leeren Container vom amerikanischen Militär vertraglich zur Gänze übernommen waren, war jede Fracht die McLean bei der Rückfahrt aufnehmen konnte, reiner zusätzlicher Gewinn. Und er brauchte nicht lange suchen. In Japan ging er Verträge mit Produzenten ein, und er brachte unter anderem Elektroartikel und Fahrzeuge in die USA.

Damit war der Bann gebrochen und die Reedereien gaben immer größere Containerschiffe in Auftrag. Ein Schiff das 4.000 Container fassen konnte war um ein Drittel billiger im Betrieb als ein Schiff für 3.000 Container. Die Crewgrößen blieben gleich. Es begann ein Wettlauf um immer größere Schiffe und Häfen, die diese Schiffe aufnehmen konnten. Das Gefüge der wichtigsten Häfen der Welt änderte sich dramatisch. San Francisco, Liverpool, London, New York und Brooklyn sanken als Hafenstädte in die Bedeutungslosigkeit. Und damit verloren alleine in New York mehr 100.000 Dock- und Werftarbeiter, LKW-Fahrer, Verpackungsspezialisten und sonstige Arbeiter ihre Jobs. Die einst so stolzen und streikbereiten Hafenarbeiter und deren Gewerkschaften waren in weniger als zwei Jahrzehnten verschwunden.

Ein Jahrzehnt brauchte der Container, bis er von einer teils beachteten, teils ignorierten Kuriosität seine ganze disruptive Kraft zu entfalten begann. In diesem Jahrzehnt wurde in vielen Anläufen Schiffe umgebaut und erweitert, neue Techniken entwickelt um die Verladung besser, sicherer und schneller zu machen. Hafenbetreiber mussten lernen, welche Infrastruktur ein Containerschiff braucht, von landgestützen Kränen bis hin zum Eisenbahnanschluss. LKW mussten umgerüstet werden, eine ausreichende Zahl von Containern war zu finanzieren. Regulierungen wurden angepasst und an Tarifen herumgeschraubt. Produzenten mussten erst verstehen, wie ein Container zur Gänze gefüllt werden kann. War vorher dem Container der weltweite Handel aufgrund der Transportkosten recht beschränkt, so wurden diese Kosten ein beinahe vernachlässigbarer Teil und der Handel begann zu boomen. Mit dieser Erkenntnis begannen sich die Container zu füllen und die Nachfrage zu steigen.

Wer nun meint, die Disruption durch die Containerschifffahrt hatte damit ein Ende gefunden, liegt falsch. Damit begann sie erst. Der Container war nur ein Puzzleteil, das zu einem intermodalen Transportsystem beitrug. Mit den gesunkenen Transportkosten und vereinfachten Versendung stieg nicht nur der Handel, ganz neue Wertschöpfungsketten wurden möglich. Die Produktion musste nicht mehr wenige Kilometer von einem Hafen stattfinden, sondern konnte über Länder verstreut liegen. Damit wanderten Produktionsjobs aus den USA nach Asien ab. Ganze Industrien wurden auf den Kopf gestellt. Textilproduktion, die vor dem Container in Europa und USA lokal für die Bevölkerung angesiedelt war, ist heute fast ausschließlich in Asien zu finden. So wie Elektronik und Stahl. Das von Toyota eingeführte Just-in-Tme-Produktionssystem, bei dem Komponenten genau dann angeliefert werden, wenn sie im Produktionsprozess benötigt werden, konnte nur durch den Container ermöglicht werden.

Auch unerwartete und unerwünschte Konsequenzen kamen mit dem Container. So werden Container, ausgestattet mit Matratzen und Toiletten von Schleppern zum Schmuggeln von Immigranten verwendet. Die Befürchtungen von Sicherheitsbehörden wiederum dreht sich um Container, die mit einer schmutzigen Bombe beladen sind, also einer Bombe mit konventionellem Sprengstoff, unter die radioaktives Material gemischt ist.

Waren die Jobverluste der Hafenarbeiter vorhersehbar (und von einigen Teilnehmern sogar erwünscht), so waren Just-in-Time und global verteilte Wertschöpfungsketten ein völlig unvorhersehbares Ergebnis der Einführung von Containern. Diese sogenannten ‚Änderungen der dritten Ordnung‘ sind das oft überraschendste Resultat einer Innovation. Zu erwartende oder erhoffte ‚Änderungen der ersten Ordnung‘ treten mit einer Innovation ein, darauf folgende Änderungen der 2. Ordnung sind schon weniger vorhersehbar. Und manchmal benötigt solch eine Änderung einen Trigger. Obwohl die Reedereien und Transporteure alle die unmittelbaren Vorteile von Containern erkannten, agierten sie nur zögerlich. Die Hafenarbeiter erkannten die Bedrohung nur bedingt und maßen ihr geringe Bedeutung zu. Die Produzenten selbst sahen Transport nur als lästiges Übel und dachten nur wenig an globalen Handel. Der Vietnamkrieg und die logistischen Bedürfnisse des Militärs kamen genau in dem Moment, zu dem Containertransport bereits mehrere Innovationszyklen durchlaufen war. Dass das U.S. Militär der Trigger wurde, war nicht selbstverständlich. Hätten die Logistikprobleme in Vietnam nicht so überhandgenommen, wären Container aus militärischer Sicht nie oder erst später zum Einsatz gekommen.


Buchempfehlung

Marc Levinson; The Box – How The Shipping Container Made the World Smaller and the World Economy Bigger; Princeton University Press, 2016

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