Das Gegenteil der Erwartungen

Viele Besucher waren skeptisch. Anstatt hineinzugehen, blieben sie beim Eingang stehen, und warfen einen zaghaften Blick in den mit Fackeln erleuchteten Schacht. Selbst die darin aufspielende Musikkapelle konnte sie nicht weiter locken. Lediglich einige wenige wagten die knapp 400 Meter den Tunnel entlang zu gehen, um auf der anderen Seite der Themse hervorzukommen.

So berichtete die London Times am 25. März 1843 über die Eröffnung des ersten Tunnels, der eine Entlastung für die hoffnungslos vom Verkehr verstopften Londoner Brücken über die Themse bringen sollte. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war der technische Fortschritt soweit, dass man den Tunnelbau beherrschte, doch in den Köpfen der Menschen war noch ein wenig die Angst vor dem Unterirdischen verankert. Es wurde nicht so sehr der Einsturz des Tunnels befürchtet, sondern der Aberglaube, dass unter der Erde irgend etwas Bedrohliches lauerte. Immerhin war dort die Hölle, die der Teufel als sein Domizil bewohnte, nicht wahr? Es half dabei nicht, dass der Tunnel feucht und modrig roch, Wasser von der Decke tropfte und die Beleuchtung etwas schummrig wirkte.

Es war weniger die Angst vor dem Unbekannten, als die Angst vor dem vermeintlich Bekannten, das die Londoner von 1843 vor der Erkundung des ersten Tunnels zögern ließ. Wie auch immer, diesem Tunnel folgten weitere und heute verschwenden wir kaum mehr einen Gedanken daran, wenn wir uns in eine U-Bahn hinab begeben und in Tunnels Städte, Länder und selbst Meere unterqueren.

Bostoner U-Bahn: Public Gardens Portal – Wikimedia Commmons

Kein Wunder also, dass mit dieser Skepsis auch bei der Bevölkerung in anderen Städten zu rechnen war. In Boston war man mit der 1863 eröffneten ersten Londoner U-Bahn vertraut, die damals kein schönes Erlebnis bot. Kohlebefeuert, dampfgetrieben, mit lauten quietschenden Geräuschen in feuchten und dunklen Tunneln war eine Fahrt eine gesundheitsgefährdende Angelegenheit gewesen. Ein Reporter verglich seien Fahrt mit ‚Zahnziehen beim Dentisten‘, und seinen Hustenanfall, nachdem er die U-Bahn genommen hatte, mit der Erfahrung „eines Jungen nach seiner ersten Zigarre.“ Dieser Eindruck prägte andere U-Bahnprojekte und es sollte mehrere Jahrzehnte Jahre dauern, bis die erste U-Bahn in einer anderen Stadt eröffnet wurde.

Als am 28. März 1895 ein Dutzend dick eingemummte und mit Schubkarre und Schaufeln ausgerüstete Arbeiter auf das Erscheinen des Bostoner Bürgermeisters zum Spatenstich des erste amerikanischen U-Bahntunnels warteten, erhielten sie die Nachricht, dass dieser zu beschäftigt ist und stattdessen seinen Vertreter schickte. Nicht nur der Bürgermeister dieser wichtigen amerikanischen Stadt war gegen das Projekt, auch ein Landesvertreter namens Jeremiah J. McCarthy. Dieser erklärte dem Boston Globe, dass ein Tunnel ein Humbug sei und nur unnütz viel Geld verschlingen würde, feucht, dunkel und vor allem ungesund wäre. Auch glaubte er, dass die Menschen eine U-Bahn nicht verwenden werden, wenn es Oberflächentransportalternativen gibt, und der Tunnel dann Sinn mache, wenn es keinen anderen Weg gäbe, den Fluss zu überqueren.

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Deshalb bemühten die Bostoner Ingenieure das MIT, um die Luftqualität und sonstige ‚böse‘ im Untergrund zu messen und zu verbessern. Als man dann sechs Monate nach Grabungsbeginn auch noch auf Knochen in unmarkierten Gräbern stieß, die von mehreren hundert Soldaten aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg stammten, wussten die Verantwortlichen, dass sie ihre Öffentlichkeitsarbeit verstärken mussten.

Nachdem der Tunnel fertiggestellt worden war, wurden der Gouverneur von Massachusetts mit anderen Würdenträgern die Stufen in das Dunkel hinabgeführt. Man sah nichts und konnte nur die Schritte der Honoratioren hören, als sie sich langsam fortbewegten. Als sie unten waren, legte jemand den Lichtschalter um, und es wurde Licht. Vor den Augen wurde ein trockener, geruchloser und gut belüfteter, heller Tunnel sichtbar, nicht das feuchte, nasse, kalte Dunkel, dass sich alle vorgestellt hatten.

Bostoner U-Bahn: Pleasant Street Portal – Wikimedia Commons

Diese Ängste der Menschen vor Tunneln und U-Bahnen hatte für die Projektverantwortlichen eine Blaupause geliefert, wie mit diesen Befürchtungen und dem Aberglauben umzugehen war: indem sie genau das Gegenteil der Erwartungen lieferten. Nicht die alte Wirklichkeit wurde erfüllt, sondern eine alternative, moderne Wirklichkeit geschaffen.

Die Future Angst, die mit beinahe jeder neuen Technologie einherzugehen scheint, kann auch uns als Vorlage dienen, wie wir sie besiegen können. Von selbstfahrenden Autos, Künstlicher Intelligenz und Robotern, die uns töten und die Kontrolle über uns Menschen übernehmen werden. Vom Hyperloop, der vielleicht das Trommelfell zerplatzen und Unfälle geradezu provozieren wird. Von digitalen Werkzeugen, die uns zu Süchtigen machen und verdummen lassen. Vom genmanipulierten Pflanzen und Essen, die uns mit neuen Krankheiten töten werden. Von implantierten Chips, die uns manipulieren. Und Windräder, die nicht nur Vögel töten, sondern uns mit nicht nachgewiesenem Infraschall krank machen.

Und das sind wiederkehrende Motive. So fasste am 23. November 1889 das Fachmagazin ‘The Electrical World’ die Zeitungsmeldungen über tote Vögel, die mit der Freiheitsstatue kollidiert waren, zusammen. Besonders grausam hatten die Leser die Berichte über geröstete Vögel empfunden, die durch Hängenbleiben in der elektrischen Beleuchtung der Statue getötet worden waren. Und das erinnert uns an die Berichte zu Vogelmassakern bei heutigen Windrädern.

Bostoner U-Bahn – Wikimedia Commons

Wie nahmen die Bostoner ihre erste U-Bahn auf? Am ersten Tag des Betriebs der neuen elektrischen Bostoner U-Bahn, am 1. September 1897, fuhren 100.000 Menschen damit. Und nur wenige Tage nach der Eröffnung berichtete ein Zeitungsartikel von den Staus vor den Drehkreuzen zur U-Bahn. Der Titel des Artikels? „Neuheit vorüber!“

Merke: Ängste und Befürchtungen können überwunden werden, wenn man den Menschen das genaue Gegenteil ihrer Erwartungen liefert.

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